Bruno Bozzetto

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September, 2019

Eine Größe, so einfach wie ein Glas Wasser: Der Vater des kultigen Herrn Rossi trifft die Nobili Welt.

Cartoon - das ist schnell gesagt. Einfache Konzepte und die Gabe, komplexe Sachverhalte synthetisch zu beschreiben. Erschaffen werden sie aber durch komplexe Prozesse, die aus Dutzenden, Hunderten, Tausenden von Zeichnungen bestehen. Wenn man mit den renommiertesten Animationsfilmautoren spricht, scheint alles einfach zu sein: Die Stars dieser Welt haben eine so klare Vision und eine solche schöpferische Geschwindigkeit, dass man meint, Ideen sind ein Kinderspiel, das Ergebnis eines schnellen Gedankens; vor allem, wenn der Ausdrucksstil, mit denen sie dargestellt werden, scheinbar instinktive, elementare Linien sind. Aber wenn ein Autor eine Idee entwickelt, hat sein Gehirn - und, wenn er ein Zeichner ist, seine Hand - normalerweise schon Dutzende, Hunderte in Lichtgeschwindigkeit gesichtet. Dann entsteht blitzartig eine Zeichnung auf dem Papier oder Grafiktablett, in Windeseile und mit sicherer Hand skizziert. Sie ist genau die „Richtige“, voller Ausdruckskraft und fulminanter Wirkung. Einfach, meinen Sie? Wenn überhaupt, dann genial.

Nehmen Sie Bruno Bozzetto, Autor von über 300 Filmen und Comics, die im Laufe einer mehr als 60 Jahre langen Karriere entstanden sind. Seine besondere Spezialität ist es, die maximal mögliche Subtraktion aus dem Bleistift zu destillieren. Ein Tropfen, der für den ganzen Ozean seiner grenzenlosen Phantasie steht. Wenn eine Linie entsteht, ist es eine von einer Million möglicher Linien, und wenn man sie ansieht, kann man nicht anders, als zu denken, dass es genau die richtige ist. Selbst die weiße Leere des Papiers wird zu einer Fülle, zu einer Umgebung, in der sich die von Bruno gezeichnete Figur bequem bewegt, Stellung bezieht und Sie mit einbezieht. Jeder Zeichnung zelebriert die Überlegenheit der Idee über die grafische Form.

Als vor dreißig Jahren ein anderes Genie der Synthese, in diesem Fall der Journalist Piero Angela, auf der Suche nach dem idealen Cartoonisten war, um im Fernsehen komplizierte Geschichten wie die der Quantenmechanik zu erzählen oder Konzepte wie die Relativitätstheorie oder die kulturelle Entropie zu illustrieren, fiel seine Wahl auf niemand anderen als Bozzetto. Wie Bozzetto Ende 1980 in Piero Angelas „Fabrik“ eintrat, erzählt der Journalist in seinem neuen autobiografischen Buch „Il mio lungo viaggio“ (Mondadori). „Ich lud ihn ein, einen meiner Artikel zu illustrieren, den ich für die Tageszeitung „La Repubblica“ mit dem Titel „Wie viel Erdöl verbraucht der Philosoph“ geschrieben hatte. Tatsächlich produziert der Philosoph weder Lebensmittel noch irgendwelche Gegenstände oder Dienstleistungen. Er denkt. Aber um denken zu können, muss er eine lange Energiekette hinter sich haben, die ihn abstützt. Das Ergebnis war ein wunderschöner Zeichentrickfilm. Und das war der Beginn einer langen Zusammenarbeit.“

Die Arbeitsmethode war denkbar einfach: Piero Angela schrieb seine Geschichte, Bozzetto erhielt sie per Post (damals gab es noch kein Internet, höchstens die ersten Faxe) und machte sich daran, die Szenen zu entwerfen, die diese Konzepte visuell animieren könnten. Angela erzählt weiter: „Bozzetto erzählte mir, dass er, wenn er meine Texte erhielt, das Blatt in der Mitte zusammenfaltete, um sich nicht von den Karikaturen, die ich skizziert hatte, beeinflussen zu lassen, und wenn er sie dann mit seinen eigenen verglich, feststellte, dass sie zu 80 % übereinstimmten“. Das Ergebnis war eine außergewöhnliche Serie von animierten Kurzfilmen.

Im Laufe der Jahre schuf Bozzetto für die Fernsehsendung Quark 45 Zeichentrickfilme von jeweils 8-10 Minuten Länge (also insgesamt fast 7 Stunden, was vier Filmen entspricht!), die bis heute als eines der wesentlichsten und zugleich reichhaltigsten und fantasievollsten Fernseherlebnisse in der Geschichte des modernen Fernsehens in Erinnerung geblieben sind. Jedes der 25 Bilder pro Sekunde, die vor den Augen der Zuschauer abliefen, musste entworfen, gezeichnet, handkoloriert und vertont werden... aber die Magie bestand darin, diese animierten Geschichten absolut „einfach“ erscheinen zu lassen, die Verbreitung komplexer Konzepte nahezu „kinderleicht“ zu gestalten. Einfachheit, oder besser gesagt, die Kunst der extremen Synthese, ein Thema, das nur Genies vorbehalten ist. Auf diese Weise werden komplexe Gefühle wie Eifersucht, aber auch Supraleiter, Embryologie, Gentechnik...erklärt. Dank dieser Fernsehbeiträge wurde Bruno Bozzetto 1982 in Marburg mit der „Gold Medal“ und in Verona mit dem „Preis für Wissenschaftskommunikation“ ausgezeichnet.

Der inzwischen weit über 80-jährige vor Energie sprudelnde Bozzetto ist ein einzelgängerischer Zeichenmeister aber auch ein Bannstrahl, wenn es darum geht, außerordentliche Talente für sein kreatives Abenteuer zu versammeln. Der Trick eines guten Regisseurs besteht gewissermaßen darin zu wissen, wie man ein Team zum Erfolg führt. Bozzetto weiß sehr gut, dass für einen ganzen Kinofilm oder eine Fernsehserie Dutzende von Mitarbeitern benötigt werden. Um Cartoons herzustellen reicht auch ein kleineres Team. Das gilt auch für die über 250 Seiten lange „Graphic Novel“, in der Bozzetto, der sein Debüt im Erzählmodus des gezeichneten Romans gibt, zwei seiner geliebten Figuren wieder ins Rampenlicht rückt: Minivip und Supervip, die 1968 die Protagonisten des Spielfilms „Vip - Mio fratello superuomo“ [Die SuperVips] waren.

Damals arbeiteten neben Bozzetto Dutzende von Drehbuchautoren, Musikern, Illustratoren, Animatoren und Koloristen, um einen 79-Minuten-Film zu machen, der die Geschichte des Animationsfilms geschrieben hat. Heute beleuchtet das große Comeback der Figuren eine Comic-Geschichte, die von vier Händen geschaffen wurde, zusammen mit einem Multitalent, Grégory Panaccione, der Brunos Zeichnungen neue grafische Kraft und erstaunliche Farben verleiht. „Minivip & Supervip - Il mistero del Via Vai“ ist ein Papierfilm, ein vollwertiger Zeichentrickfilm und Comic, der auch ein scharfsinniges Reflexionswerkzeug ist, um über unsere Zeit nachzudenken: Eine echte Leidenschaft von Bozzetto seit den Tagen von Herrn Rossi. Hier ist die Erde ein einziges Durcheinander aus Verschmutzung und Desinteresse, niemand bewegt sich ohne Auto fort und alle haben vergessen, was es bedeutet, an der frischen Luft zu leben und die Schönheit der Natur zu genießen. Minivip ist dabei, Vater zu werden, Supervip hingegen wurde gerade von der Frau, die er liebt, verlassen. Nach einem kleinen Kampf finden sich die beiden wieder zusammen, um die Bedrohung durch ein rücksichtsloses außerirdisches Monster zu bekämpfen, das unseren Planeten kolonisieren will.

Dieser herrliche Comic - an sich schon ein Kleinod, das man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte - ist auch eine Gelegenheit, über Bozzettos Poetik nachzudenken: War „Vip - Mio fratello superuomo“ vor einem halben Jahrhundert noch ein Vorwand, um durch ein für die damalige Zeit recht radikales Umdenken der Figur des Superhelden über den „Stand der Dinge“, die Zeit der Proteste und die gesellschaftlichen Veränderungen zu diskutieren, so konzentriert sich „Minivip & Supervip - Il mistero del Via Vai“ (erschienen bei Bao Publishing, 2018) heute auf ein hochaktuelles Thema, und zwar soll erzählt werden, wie sehr die Gemeinschaft heute dazu neigt, sich zu atomisieren und am Ende Trümmer der Einsamkeit zu schaffen. Aber zum Glück hat ein Genie immer ein leeres Blatt Papier, das die Chance bietet, selbst im grauen Alltag einer von Umweltverschmutzung entmutigten Welt, eine kreative Idee hervorzubringen.

Mit seinen Karikaturen gehörte Bozzetto jahrelang zu den brillantesten Kolumnisten des „Corriere della Sera“. Vor nicht allzu langer Zeit, auf dem Festival BergamoToons, einer Veranstaltung für Enthusiasten und Fachleute mit Workshops, Vorführungen und Konferenzen, die zu einem Treffpunkt für eine Vielzahl von Zünften geworden ist, um das Animationskino zu feiern, das Kinder und Erwachsene seit jeher fasziniert, provozierte Nobili den Meister: Er bot ihm die weiße Oberfläche der Mischarmatur Dress an, auf dem das Mailänder Genie einen „Flash-Cartoon“ zum Thema “ Wasser zeichnen” kreieren sollte. Die fröhliche Zeichnung, die in einem spielerischen Happening des kreativen Ausdrucks entstand, ist ein Klang der Fantasie, der mit dem beweglichen Hebel der Mischbatterie spielt und ihn beinahe animiert. Ein Tropfen Genialität, das auf dem Element H2O zum Ausdruck kommt, ein perfektes Feld für einen der Pioniere des Storytellings mit ökologischem Hintergrund. Bozzetto schmunzelt: „Ich interessiere mich nicht für den kreativen Akt, der zu einem bestimmten Zweck gemacht wird. Er muss frei sein, es muss eine Idee sein, die Form annimmt. Und ich liebe die Einfachheit.“